Herr Löw, Sie haben sich nach der WM eine kleine Auszeit gegönnt. Wie darf man sich das vorstellen.
Jogi Löw (54): Einen Tag war ich zu Hause, danach bin ich allein nach Sardinien. Zeit, um in mich hineinzuhören. Habe ich noch die Motivation? Habe ich neue Ziele? Kann ich die Mannschaft noch weiterbringen? Mir wurde schnell klar: Ich möchte die Lesitung von der WM noch mal bestätigen, erneut nach einem weiteren Stern mit der Nationalmannschaft greifen.
Sterne auf dem Trikot gibt es nicht für Europameister, sondern nur für Weltmeister-Titel.
Ich denke jetzt erst einmal nur an die Europameisterschaft, der Stern steht sinnbildlich für einen Titel bei einem großen Turnier. Wir alle kennen ja die Realitäten bei einem Nationaltrainer. Der Turnierverlauf ist immer entscheidend für den weiteren Fortgang. Deshalb denke ich nur noch in Zweijahres-Zyklen.
Würden Sie sich denn Gesprächen um Ihre Zukunft vor dem Turnier 2016 verschließen?
Wenn wir die EM-Qualifikation für Frankreich erreicht haben, werden wir uns sicher mal zusammensetzen und über die Zukunft sprechen DFB-Präsident, Wolfgang Niersbach und ich haben ein großartiges und vertrauensvolles Verhältnis. Generell jedoch ist mir wichtig, dass ich mal selber bestimmen will, wenn der Zeitpunkt für mich gekommen ist. Ich persönlich brauche im Vorfeld eines Turniers nicht unbedingt Sicherheiten, davon kann ich mich gut freimachen.
Ausschließen würden Sie also nicht, dass SIe bei der WM 2018 in Russland noch auf der deutschen Bank sitzen?
Das ist Zukunftsmusik, so weit, denke ich im Moment gar nicht, ich schließe jetzt aber auch nichts aus, also muss 2016 nicht zwangsläufig Schluss sein. Für mich ist auch nicht entscheidend, Titel oder nicht, sondern es hängt vielmehr an Fragen wie. Erreiche ich die Mannschaft noch? Kann ich weiter Reizpunkte setzen? Ist das der Fall, ist vieles vorstellbar.
Gab es für Sie in ihrer Zeit als Bundestrainer jemals Gedanken an Rücktritt, wie beispielsweise nach dem EM-Aus 2012?
Nein, selbst damals nicht. Vielmehr war mein Ehrgeiz nach der Niederlage gegen Italian (1-2) und der wahnsinnigen Enttäuschung für uns alle angeschalt. Unabhängig von der ganzen Kritik, die damals auf uns einprasselte, hatten wir immer das Ziel WM-Sieg 2014 im Kopf. Ich hatte unsere Entwicklung in die Weltspitze vor Augen und wusste: Der Tag wird kommen, an dem wir für unsere Leistungen belohnt werden.
Wird man den Trainer Jogi Löw noch mal bei einem Klub oder einer anderen Nationalmannschaft erleben?
Da ich jetzt nichts ausschließe, habe ich das Thema Vereinstrainer auch noch nicht endgültig abgeschlossen. Vorstellbar ist es, auchwenn ich mich im Moment definitiv nicht damit beschäftige. Der Reiz des Jobs eines Vereinstrainers ist ja das tägliche Arbeiten mit der Mannschaft, also genau das, was ich extrem gerne mache. Ich habe auf jeden Fall nicht den Gedanken, mit dem Beruf, der mir so viel Spaß bereitet, vorzeitig Schluss zu machen. Als Nationaltrainer ist das etwas anderes. Das ist für ein anderes Land schwer vorstellbar, denn die Bindung zur deutschen Nationalelf ist für mich schon etwas ganz Besonderes.
Haben Sie auch privat weiter hohe Ziele? SIe haben einst den Kilimandscharo bestiegen, folgen weltere Gipfel-Touren?
Ich denke nicht, dass ich mich noch mal in eine solche Situation begebe. Für mich persönlich war das schon eine extreme körperliche Anstrengung und mit eine der interessantesten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Ich war in alten Bereichen völlig am Limit. Was mich aber interessiert und ich nun auch begonnen habe ist, den Flugschein zu machen.
Jogi Löw, der Pilot?
Ich habe bereits ein paar Flugstunden mit einem kleinen Ultraleichtflugzeug in Freiburg absolviert und mich versucht, ein wenig in die Theorie einzuarbeiten. Das Fliegen fasziniert mich seit meiner Kindheit. Es ist ein unglaubliches Gefühl der Freiheit, das man erlebt. Das Starten und Landen bekomme ich schon ganz gut hin. Ich hatte zuletzt eine kleine Pause eingelegt, aber im neuen Jahr will ich das wieder aufgreifen.
Haben Sie denn nach der WM fußballfremde Angebote bekommen? Beispielsweise einen Tatort-Auftritt, wie ihn Berti Vogt schon mal hatte?
Wir hatten ja bereits im Vorfeld der Frauen-Wm 2011 einen kleinen Auftritt in einem Tatort. Nein, auch in Hollywood sehe ich mich eher nicht. Ich muss ehrlich gestehen, auch wenn das in Deutschland vielleicht eine kleine Schande ist: Ich habe noch nicht einmal eine einzige Tatort-Folge gesehen. Sonntagabend ist für mich nicht der klassische Fernsehabend. Da gehe ich eher essen oder mal ins Kino.
Wie kommt die Weltmeister Löw in Freiburg unerkannt ins Kino?
Ich warte in der Tat ab, bis die Werbung lauft. Dann ist es aber auch kein großes Problem.
Sie wohnen im 1400-Einwohner-Örtchen Wittnau im Schwarzwald, sieben Kilometer südlich von Freiburg. Ist das auch der Platz, wo Sie alt werden wollen.
Für mich ist das schon ein Stück Heimat, an dem mein Herz hängt umgezogen, habe in verschiedenen Städten und Ländern gelebt. Wittnau wird jedoch, unabhängig wo ich noch arbeiten werde, immer meine Basis bleiben.
Was schätzen Sie vor allem an Wittnau?
Ich bin vor allem schnell in der Natur, beim Fahrradfahren oder Joggen. Ich spüre zudem, dass die Leute dort mein Privatleben respektieren. Der ursprüngliche Grund war allerdings ein anderer: Das Haus, in dem wir nun wohnen, hat einem Freund gehört, der es verkaufen wollte. Die Lage ist einfach so schön, dass wir uns schnell dafür entschieden haben.
Sie sollen zudem auch eine Wohnung in Berlin haben.
Das ist richtig. Ursprunglich war die Wohnung als Anlageobjekt gedacht, ich wollte sie vermieten. Doch meine Frau und ich haben festgestellt, dass wir gerne immer wieder mal ein paar Tage in Berlin verbringen. Es ist eine gute Abwechslung zu dem idyllischen, beschaulichen Freiburg.
Sie hätten also auch genug Rückzugsorte, um einmal eine Biografie zu schreiben?
Das habe ich nicht geplant. Ich muss weder über mein Leben noch meinen Werdegang ein Buch schreiben.
Bei der Nationalmannschaft wollen Sie dagegen alte Taktik-Kapitel offnen wie die Wiedereinführung der Dreierkette. Trainer-Experten sollen zum Referieren eingeladen werden. An wen haben Sie gedacht?
Man muss vielleicht ein bisschen über Europa hinausschauen, wie etwa nach Südamerika. Chile hat mir seit 2010 sehr imponiert, sie sind taktisch sehr variabel. Ich denke da auch an einen Marcelo Bielsa, den argentinischen Coach von Olympique Marseille. Das sind Trainer, die mit dem System und seinen Risiken Erfahrung haben. Denn die Dreierkette wurde in Deutschland die letzten 10, 15 Jahre nicht mehr so praktiziert. Wir wollen 2015 neue Akzente setzen.
Wie auch mit der Wiederauflage der zwei Stürmer in der Spitze?
Auch das ist eine Variante. Auf die Nummer neun haben sich die Mitbewerber eingestellt. Vielleicht müssen wir uns da neu erfinden und auf die Doppelspitze zurückgreifen. Marco Reus, Mario Götze, Thomas Müller - sie alle können im Zentrum vorne spielen. Auch für Mario Gomez ergibt sich darin eine neue Chance. Wenn er wieder in Form ist, kann er für jede Mannschaft ein Gewinn sein.
Lukas Podolski spielte früher ebenfalls als zentraler Stürmer.
Ich denke, Lukas hat aber eher seine Stärke drain, wenn er mit dem Gesicht zum Tor steht als mit dem Rücken. Lukas ist ein Spieler, der Platz und Raum braucht.
Ist die neue Konstellation die große Chance für Stürmer wie Kevin Volland oder Pierre-Michel Lasogga?
Wenn Sie schon Namen nenne - beide passen vielleicht auch als Kombination. Lasogga ist der Typ, der im Zentrum spielen kann, Volland eher der Spieler, der flexibel spielt und auch von der Seite kommt.
Sie haben Podolski einen Warnschuss fürs nächste Jahr verpasst, falls er nicht mehr bei Arsenal London zum Zug kommt.
Ich bin von Lukas Qualität überzeugt, allerdings kann er sie nur dann überbringen, wenn er Wettkampfpraxis im Klub hat. Lukas lebt davon. Das ist bei ihm und seiner Spielweise schon wichtig. Er wollte in den nächsten Wochen auch mal Gespräche mit seinem Klub führen, ich stehe mit ihm in Kontakt, und natürlich tauschen wir uns aus.
Läuft Roman Weidenfeller mit jungen Konkurrenten wie Marc-André ter Stegen oder Bernd Leno Gefahr, nach Dortmund auch beim DFB durchgereicht zu werden?
Es ist schon vorstellbar dass wir im neuen Jahr dem einem oder anderen jungen Torhüter wieder mal eine Chance geben Entscheidungen müssen wir aber erst 2016 treffen. Ich möchte aber noch mal betonen, welche wichtige Rolle Roman Weidenfeller bei der WM gespielt hat. Nicht nur sportlich gesehen, sondern auch als Führungsspieler. Ich denke auch nicht, dass Roman bei Dortmund außen bleibt. Ich kenne die Details nicht, maße mir auch kein Urteil an, das ist einzig und allein Sache von Jürgen Klopp, vielleicht aber wollte er vor der Winterpause ein Signal an die gesamte Mannschaft aussenden. Ich bin sicher, dass sich Roman bei Dortmund im neuen Jahr zurückmeldet.
Von Christian Falk und Torsten Rumpf
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